Der nicht gemalte Strich

von Sonja Jannichsen

Die Kunst in der Kunst ist es, den Strich zu finden, den man NICHT malen sollte. Nur dadurch erreicht man eine sprechende Zeichnung oder Kritzelei.

Der Strich, der die Zeichnung zum Sprechen bringt und ihr Ausdrucksstärke verleiht, sollte gefunden werden.
Leichter gesagt als getan? Ich zeige dir anhand einiger Skizzen, wie das aussehen kann:

Langweilige Zeichnungen ade. Spritzige, freche Zeichnungen willkommen. Probiere dich im Skizzenbuch aus. Teste unterschiedliche Stifte und Farbaufträge. Schnell wirst du herausfinden, was funktioniert, dir liegt und dir gefällt.

Überlege mit welchem Werkzeug du die Situation darstellen möchtest.

Fineliner wirken auf dem Bild präziser, machen aber die Zeichnung auch starr und hart.
Ein weicher Bleistift lässt keine feinen Darstellungen zu. Man erhält mit ihm jedoch tolle Graustufen und unterschiedliche Härtegrade. Das kann ein Fineliner nicht.

Bevor ich ein Motiv beginne, schaue ich mir alle genau an und mache mir die Szene genau klar.

„Bei einigen Motiven und Kompositionen drängen sich bestimmte Techniken auf. Zum Beispiel möchte eine große Eisenbahn gerne klar strukturiert gemalt werden, während Vögel und Blumen auf Weichheit bestehen. Auf welches Werkzeug und auf welchen Stil habe ich gerade Lust, wie bequem ist mein Sitzplatz, bin ich vor dem Wetter geschützt und wie viel Zeit habe ich für das Bild? Das sind zusätzliche Argumente, die eine Materialfindung beeinflussen. Wenn man lange an einem Bild sitzt, dann lohnt es sich, diese Gedanken zu machen.“

Tipp:

Übe die Eigenschaften des Bleistiftes durch überspitze Darstellungen. Zeichne völlig übertrieben die Effekte auf das Papier, um sie zu begreifen: dick, dünn, hart, zart oder gar körnig? Und benutze verschiedene Stifte, um herauszufinden, was deinen Strich stärkt.

Schule deine Beobachtungsgabe.

Verabschiede dich von der durchgezogenen Linie und finde die Struktur des Objektes.
Durchgezogene Linien stehlen dem Gegenstand seine Identität, machen die Zeichnung starr und verleiten zum Ausmalen. Anstatt zeichne die Eigenart und Struktur durch fantasievolle Striche und gebe sie so wieder. Wichtig ist, dass du den Strich laufen lässt und so wundervolle Strukturen des Motivs einfängst. Übe und experimentiere!

Ergänzend zum Strich übe auch das Aufdrücken des Bleistiftes. Beim Feinliner ist das nur bedingt möglich. Doch der Bleistift hat ein breites Spektrum in Linienstärke, Grafitstärke und Graustufen, das man nur durch den unterschiedlichen Aufdruck des Stiftes erreicht.

Kürzel in den Zeichnungen

Zusätzlich zu der Strichart, die du gerade gewählt hast, eignet man sich ganz langsam Kürzel an. So malst, du belaubte Bäume eben so, Buschreihen so und Wolkenformationen so. Deine Kürzel gehen dir in Fleisch und Blut über und sie helfen dir, das Gemalte sofort zuzuordnen. Diese Kürzel entstehen automatisch beim Üben.

Vom Auge in den Bleistift

Betrachte den Umriss als Nebensache. Der Fokus liegt auf der Strichbewegung. Gib deinem Strich Freiheit und zeichne, wie du es siehst. Werfe für den Augenblick deine Hemmungen über Bord.

Also Augen auf das Objekt und los gehts.

Die Augen bleiben hauptsächlich am Objekt kleben und die Hand arbeitet vor sich hin. Dabei schaust du nicht viel auf das Blatt, sondern immer auf das Objekt. Lass den Strich laufen und zeichne das, was du siehst. Das Ergebnis ist nicht so wichtig, wichtig ist das Training deines Gehirns.

Diese kleinen Übungen sind es, die Augen und Hände eines Zeichners zusammenschweißt.

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